Singen & Corona

Eine Materialsammlung für Sänger*innen und Chöre

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Risikoeinschätzung einer Coronavirus-Infektion im Bereich Musik

Spahn C, Richter B. (2020). Risikoeinschätzung einer Coronavirus-Infektion im Bereich Musik. https://www.mh-freiburg.de/hochschule/covid-19-corona/risikoeinschaetzung (letzter Zugriff 17.07.2020)

Diese Risikoeinschätzung des Freiburger Instituts für Musikermedizin (FIM) am Universitätsklinikum und der Hochschule für Musik Freiburg wurde am 25.04.2020 erstmals veröffentlicht und seither regelmäßig aktualisiert.

Die Risikoeinschätzung liegt unter dem o. g. Link inzwischen außer in einer deutschen Fassung auch auf Englisch, Japanisch, Niederländisch, Französisch, Spanisch und Portugiesisch vor.

Aus der Präambel des vierten Updates vom 17.07.2020:

Wir als Autor*innen bemühen uns, im vorliegenden Papier wissenschaftliche Ergebnisse möglichst vollständig nach aktuellem Stand in unsere Einschätzung einzubeziehen. Ziel bleibt es, getroffene Einschätzungen anhand neuester wissenschaftlicher Ergebnisse anzupassen und einen Konsens hierüber herbeizuführen. Hierzu veröffentlichen wir regelmäßig den neuesten Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse und risikoreduzierender Maßnahmen in durchnummerierten und mit Datum versehenen Updates unserer Risikoeinschätzung. Die neueste Version wird jeweils unter demselben link auf der Homepage der Hochschule für Musik Freiburg eingestellt.

Viertes Update vom 17. Juli 2020

Dieses Update umfasst inzwischen 45 Seiten. Die Veränderungen gegenüber dem dritten Update wurden dankenswerter Weise in blau markiert.

Im Bereich Gesang bzw. Chorgesang wird auf die beiden Studien, die sich mit dem Thema Aerosole beim Singen beschäftigen, und deren erste veröffentlichen Ergebnisse hingewiesen (Mürbe et al. & Echternach et. al.).

Das Fazit zur Allgemeinen Risikoeinschätzung hinsichtlich des Singevorgangs wurde stark erweitert:

Inwiefern eine spezifisch durch das Singen veränderte Aerosolbildung und -ausbreitung durch den Singevorgang erfolgt, ist derzeit weiterhin nicht in Gänze zu beurteilen, da die Emissionsraten eine hohe Schwankungsbreite aufweisen […]. Die bisher erhobenen Daten legen jedoch nahe, dass es beim Singen zu deutlich höheren Emissionsraten für Aerosole im Vergleich zur Mundatmung und zum Sprechen kommen kann, im Mittel wird aktuell eine 30mal höhere Emissionsrate angegeben […]).
Einen wichtigen Ansatzpunkt für die Risikoeinschätzung einer Ansteckung durch Aerosole liefert der CO2 Gehalt der Luft. Er kann als Maß für die Ansammlung von in Aerosolen enthaltenen SARS-CoV-2 Vieren herangezogen werden […]. Dass das gasförmige Kohlendioxid (CO2) ein wichtiges Maß für die Luftqualität ist, stellte schon Max Pettenkofer Mitte des 19. Jahrhunderts fest. Er wird als Begründer der Hygiene als eigenständiger Wissenschaft in Deutschland angesehen. Er erkannte, dass CO2 nicht nur eine Maß für die Luftgüte ist, sondern dass auch andere Stoffe in der Luft sich zum CO2 Gehalt proportional verhalten […]. Nach Pettenkofer wurde auch die Pettenkoferzahl des CO2 Gehalts mit 1000 ppm festgelegt, deren Einhaltung in Innenräumen insbesondere im schulischen Kontext – auch unabhängig vom Singen – gefordert wird […]. Hierzu gibt es einfache, relativ kostengünstige Messgeräte, die im Sinne einer „Ampel“ die Luftqualität auch visuell darstellen. Diese ermöglichen die Einschätzung eines Ansteckungsrisikos durch Aerosole im geschlossenen Raum und kann die erforderliche Lüftung in natürlich gelüfteten Räumen steuern.

Auf diese o. g. Möglichkeit der CO2-Messung wird auch an anderen Stellen im Update wiederholt hingewiesen.

Zum Thema Singen im Gottesdienst:

Gemeindegesang erscheint bei Einhalten der Abstandsregel von 2 Metern und Tragen von MNS möglich, da davon ausgegangen werden kann, dass Gottesdienste zumeist in großen bis sehr großen Räumen stattfinden. Kirchenräume mit einer Deckenhöhe von 10 Metern und mehr, haben in der Regel so große Raumluftvolumina, dass sie hinsichtlich des Infektionsrisikos als vergleichbar mit kleineren Räumen mit leistungsstarker Lüftungsanlage (Luftwechsel 6/h) anzusehen sind. Zudem sind viele Kirchenräume mit modernen Lüftungsanlagen ausgestattet. Wo dies nicht der Fall ist, kann direkt vor Ort wiederum eine Kontrolle der Luftqualität und der Effektivität der Lüftung mittels der CO2-Ampel – wie oben bereits beschrieben – erfolgen. Anhand der vor Ort erhobenen Werte ist das Lüftungskonzept zu optimieren.

Drittes Update vom 1. Juli 2020

Dieses dritte Update umfasste nunmehr 40 Seiten. Die Veränderungen gegenüber dem zweiten Update waren dankenswerter Weise in rot markiert.

Die Ergänzungen aus diesem Update zum Thema Singen und Chorgesang:

Auch die in den einzelnen Bundesländern sehr uneinheitlichen Verordnungen, vor allem den Gesang betreffend – und hier insbesondere den Chorgesang –, werfen ganz neue Fragen auf. Während das Land Berlin in seiner aktuellen Corona-Verordnung (SARS-CoV-2-Infektionsschutzverordnung vom 23.06.2020), sängerische Aktivitäten von mehr als einer Person in geschlossenen Räumen komplett untersagt, hat das Land Rheinland-Pfalz nahezu zeitgleich seit dem 24.06.2020 das Chorsingen in geschlossenen Räumen unter Einhaltung strenger Hygieneregeln gestattet (10. CoBeLVO). Auch die uneinheitliche Betrachtung von sportlichen und musikalischen Aktivitäten, die sich in den Verordnungen der Länder national und international abzeichnet, gibt Anlass, die Evidenzbasierung dieser Entscheidungen zu hinterfragen.
So lässt sich z.B. das kollektive Risiko einer Chorprobe anhand einer COVID-19 tracing-App – die seit dem 16.06.2020 online ist –, vermutlich in Zukunft besser einschätzen. Auch flächendeckende Tests, die anlassunabhängig und kostenfrei durchgeführt werden – wie es im Freistaat Bayern seit dem 1.07.2020 möglich ist –, könnten hierzu einen wichtigen Beitrag leisten.
Aktuell sind mehrere Arbeitsgruppen dabei, Aerosole beim Singen zu messen. […] Die Ergebnisse dieser Studien sind bisher noch nicht wissenschaftlich publiziert.

Des Weiteren wird noch einmal die Effizienz der Risikoreduktion von Infektionen durch das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes (MNS) hervorgehoben. In einem persönlichen Gespräch betonte Prof. Dr. Bernhard Richter mir gegenüber1), dass er dies auch beim Singen für machbar und sehr sinnvoll halte.

Außerdem wird auf ein sehr interessantes Tool zum Expositionsrisiko bei einer bestimmten Aufenhaltsdauer in Abhängigkeit von anderen Parametern wie Personenanzahl, Raumgröße und Belüftung hingewiesen:

Um abschätzen zu können, wie viele Personen sich wie lange in einem bestimmten Raum aufhalten können, der ein definiertes Raumvolumen und eine definierte Belüftung hat, sind von zwei unterschiedlichen Wissenschaftlern sehr interessante Berechnungs-Tools entwickelt worden (Trukenmüller, 2020; Jimenez 2020). Diese basieren auf den bisher bekannten Veröffentlichungen zur Übertragung von SARS-CoV-2 in geschlossenen Räumen sowie den vorhandenen Modellannahmen insbesondere von Buonanno et al. 2020 a / b.

Das Tool ist als Excel- bzw. OpenOffice-Tabelle hier downloadbar: https://www.magentacloud.de/share/e7esxr9ywc#$/

Zweites Update vom 19. Mai 2020

Ein paar Zitate aus dieser Fassung:

Grundsätzlich muss angenommen werden, dass beim Singen ebenso wie bei der Ruheatmung oder beim Sprechen Aerosole entstehen können, die Viren übertragen können […].
Inwiefern eine spezifisch durch das Singen veränderte Aerosolbildung und -ausbreitung durch den Singevorgang erfolgt, ist derzeit noch schwer einzuschätzen. Auch ist noch unklar, welchen Einfluss die vertiefte Einatmung beim Singen auf eine mögliche Infektion hat. Als Konsequenz aus dem vorhandenen Wissen sind aus unserer Sicht notwendige Schutzmaßnahmen vorzuschlagen.

Und zum Thema Chorsingen:

Da von einer Bildung von Aerosolen durch jeden und jede Sängerin ausgegangen werden muss, ist anzunehmen, dass sich bei einer Ansammlung einer größeren Anzahl von Personen virushaltige Aerosole im geschlossenen Raum in höherer Konzentration ansammeln […]. Die Belüftungsqualität spielt hier ebenfalls eine wichtige Rolle […]. Auch die Frage der Zeitdauer, also wie lange eine Chorprobe dauert, spielt für die in einem Raum zu erwartende Partikelkonzentration des Aerosols eine Rolle: in längeren Zeiträumen kann die Partikelkonzentration auf höhere Werte ansteigen als in kürzeren.

Erstes Update vom 6. Mai 2020

Erstfassung vom 25. April 2020

1)
Telefonat mit Bernhard Richter am 30.06.2020 — berlindave
wissenschaft/spahn_c2020a.txt · Zuletzt geändert: 2020-08-26 12:59 von berlindave